Das Magma und der wilde Geist
Zwei Frauen malen und poetisieren in «Das Observatorium» bei einem Vulkan.
«Stell dir vor: Er erwacht.» Zwei Wissenschaftlerinnen sind am Fuss eines schlafenden Vulkans stationiert. Sie observieren, analysieren, protokollieren. Ihre Arbeit kommt ihnen zunehmend fragwürdig vor. Ob ihre gesendeten Daten und Berichte je gelesen werden? Ob man mit diesen Methoden dem Phänomen überhaupt gerecht werden kann?
Die eine, Birke, wendet sich von der Wissenschaft ab und der Kunst zu. Sie malt, klebt, modelliert Dinge und Orte, die sie nie gesehen hat. Die andere, eine namenlose Erzählerin, findet eine poetische Sprache, mit der sie die Welt um sich herum beseelt, anstatt sie zu fixieren: «Wir dürfen unsere Bilder nicht einfrieren. Uns von nichts und niemandem bändigen lassen. Unser Geist muss wild bleiben, damit wir uns und alles um uns herum immer wieder von Neuem sehen.»
Die bizarre Situation an der Grenze zwischen Magma und Erdkruste ist keine psychologische Versuchsanordnung, sondern dient Bettina Wohlfender als Ausgangslage, um zu beobachten und das Beobachten selbst zum Thema zu machen. Ein Observatorium eben – der Titel des Romans ist durchaus Programm und möglicherweise sogar eine Art Leitmotiv in Wohlfenders Schaffen, das neben Texten auch Druckgrafiken, Collagen und Objekte umfasst. Die Nähe zur bildenden Kunst ist vielleicht das Geheimnis dieses eigenwilligen Erzählstils: Die Sprache wird als Material und Werkzeug zugleich verwendet, um vertraute Motive zu überraschend neuen Bildern zu gestalten. Beeindruckend, wie leicht und selbstverständlich das alles geschieht, wie Inhalt und Form sich bedingen und ergänzen und aus dem Beobachten und Benennen, wie zufällig, eine Geschichte entsteht.