Dem Übel wird sie die Stirn bieten
Auf der Suche nach der eigenmächtigen Heldin: Marlene Streeruwitz spielt in ihrem neuen Roman mit dem Abenteuergenre, um die Bedingungen weiblicher Existenz zu erkunden.
«Anstelle einer Autobiographie»: So wird der neue Roman von Marlene Streeruwitz über eine Frau namens Yseut vom Verlag angekündigt. Der Untertitel hingegen verspricht einen «Abenteuerroman in 37 Folgen». Was aber bedeutet es, eine Lebensgeschichte als Abenteuerroman zu erzählen?
Es bedeutet, die Protagonistin einer bedrohlichen, fremden Welt auszusetzen, ihr aber auch die Handlungsmacht einer Heldin zu verleihen und ihr die Möglichkeit zu geben, sich im Kampf zu bewähren. Die Lebensgeschichte beginnt als Reiseroman: Yseut, Mitte sechzig, fährt nach Italien. Sie möchte noch einmal etwas Neues erleben und ist sich bewusst, dass ihr nicht viel Zeit dafür bleibt. Kaum angekommen, überschlagen sich die Ereignisse. Yseut (französisch für Isolde) muss sich mit Gefahren und finsteren Mächten unterschiedlichster Art herumschlagen: mit Strassensperren und Rowdys, korrupten Polizisten, gewaltbereiten Separatisten, ekligem Ungeziefer im Bett, mit Menschenhandel und einem attraktiven Mafioso, der es darauf angelegt hat, sie zu verführen. Aber Yseut weiss sich zu helfen. Wenn es sein muss, setzt sie auch ihre Pistole ein, um sich gegen das Böse zu behaupten. Und wie es sich im Abenteuerroman gehört, wird sie dem Übel die Stirn bieten – und weiterleben.
Die Genres demontieren
Das ist jedoch nur die eine Geschichte. Wer Streeruwitz kennt, weiss, mit welcher Lust sie literarische Genres imitiert, benutzt und demontiert. Bereits ihr erster Roman, «Lisa’s Liebe» (1997), war eine Persiflage auf den Arztroman, in der statt einer trivialen Romanze das triste Leben einer Frau beschrieben wird, die ihre Zeit damit verschwendet, auf einen Brief zu warten. In «Nachwelt» (1999) reist eine Schriftstellerin nach Los Angeles, um eine Biografie über Anna Mahler zu schreiben. Nach mehreren Interviews mit Zeitzeugen und fast 400 Seiten Selbstreflexion entscheidet sie, das Projekt aufzugeben, da sie unmöglich «diese vielen Wirklichkeiten in Sätze zwängen» kann. Anstelle der Biografie entsteht ein Reisebericht, der von der Unmöglichkeit des Berichtens erzählt. «Partygirl» (2002) war dann die Inversion eines Entwicklungsromans: Die Erzählung beginnt mit dem Tod der Protagonistin und endet in der Kindheit. Und in den beiden Romanen «Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland» (herausgegeben unter dem Pseudonym Nelia Fehn) und «Nachkommen» (in dem Nelia Fehn als Protagonistin auftaucht) trieb Streeruwitz ein raffiniertes Spiel mit dem Genre des literarischen Debüts oder genauer: mit dem «Fräuleinwunder», das sie als Phantasma eines männlich dominierten, von lüsternen Greisen beherrschten Literaturbetriebs entlarvt.
Die Frage, die dabei immer wieder neu aufgeworfen wird, ist die nach den Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren, innerhalb einer patriarchalen Erzähltradition weibliche Figuren und somit weibliche Identität zu entwerfen. Wie kann man den entwürdigenden Rollenmustern entkommen? Gibt es weibliche Heldinnen? Und wenn ja, was sind die Hindernisse, die sie überwinden, was sind die Abenteuer, in denen sie sich bewähren müssen? Kritik heisst bei Streeruwitz auch Dekonstruktion jener tradierten Erzählkonventionen, mit denen Machtverhältnisse reproduziert und legitimiert werden. Indem Streeruwitz die Bedingungen weiblicher Existenz erkundet, unterzieht sie nicht nur das Erzählen, sondern auch die gesellschaftlichen Strukturen einer scharfen Analyse.
Allein und von Gewalt umgeben
So auch in «Yseut», wo nicht nur das Abenteuer einer einzelnen Frau, sondern das einer ganzen Generation erzählt wird. Die eigentlichen Stationen dieses Abenteuers werden in Rückblicken aufgerollt: Erinnerungen an ein langes Leben, das im biederen, wortkargen Wien der Nachkriegszeit beginnt, im Kalifornien der siebziger Jahre aufblüht, ein Leben, das bestimmt ist von unzähligen beruflichen und privaten Brüchen, Neuanfängen und Tiefschlägen, von Gewalterfahrungen und der Sehnsucht nach der grossen Liebe. Dabei wird klar, dass sich dieses Leben unmöglich in eine lineare Geschichte mit klassischen überraschenden Wendungen und einer finalen Logik packen lässt.
Was Yseuts Leben dennoch zu einem Abenteuerroman macht, ist das Grundgefühl der Fremdheit. Nicht erst in Italien, sondern schon als Studentin, als junge Ehefrau, als Geliebte, als Linguistin, Schauspielerin und Mutter, in Wien, Kalifornien und Frankfurt: Stets ist es ein Kampf, sich zur Welt in eine Beziehung zu setzen.
Yseut fühlt sich nicht eingeladen, allein und von Gewalt umgeben: das «Dritte Reich», die Ausrottung der Native Americans, Bürgerkrieg in Irland … So ist dieser Roman auch eine Reise durch die jüngere Zeitgeschichte. Doch Yseut, das machen sowohl die episodenhaften Rückblicke als auch die Rahmenerzählung in Italien deutlich, ringt die Feinde nicht mit ihrer Körperkraft nieder, wie man das von männlichen Helden im Abenteuerroman kennt. Sie kämpft vielmehr mit einem Körper, der von ebenjener Ordnung hervorgebracht wurde, die ihn unterdrückt. Der Kampf gegen das Böse ist so auch ein ständiges Ringen um Selbstachtung und Würde, und die eigentliche Preisfrage in diesem lebenslangen Abenteuer lautet: Wie kann die Emanzipation aus dieser immer auch selbstverschuldeten Unmündigkeit gelingen?
Marlene Streeruwitz: Yseut. Ein Abenteuerroman in 37 Folgen. S. Fischer Verlag. Frankfurt 2016.