09. März 2020

SRF onlineJournalismus

Wenn der Traumberuf zum Albtraum wird: In Gabriela Kasperskis Krimi «Nachtblau der See» missbraucht ein Theaterregisseur seine Macht. Ein Setting, das die Autorin selbst gut kennt.

Der Traumberuf Schauspielerin kann schnell zum Albtraum werden. Zum Beispiel wenn auf Proben der Umfang der eigenen Brüste geprüft und diskutiert wird. Und wenn man realisiert, dass solche Demütigungen keine Ausrutscher sind, sondern Teil des Systems.

Die Krimiautorin Gabriela Kasperski war selber Schauspielerin und weiss aus eigener Erfahrung, wie Machtmissbrauch am Theater funktioniert. «Ich habe solche Dinge erlebt. Aber damals, in den 80er-Jahren, hat man nicht darüber gesprochen.»
 

Korruption und Psychoterror

Kasperski verliess das Theater und verdrängte die Erinnerungen. Erst die Weinstein-Affäre führte dazu, dass sie mit einer ehemaligen Kollegin offen darüber sprach und die Aktualität der alten Geschichten erkannte.

Deshalb spielt nun der neuste Band ihrer Krimireihe im Theatermilieu. In «Nachtblau der See» muss der Kantonspolizist Werner Meier den Mord an einer jungen Hauptdarstellerin aufklären – und gerät dabei in ein Geflecht von Korruption, sexuellen Übergriffen und Psychoterror.
 

Warum spielen die anderen mit?

Im Mittelpunkt des Krimis steht ein charismatischer Regisseur, der so genial wie narzisstisch ist. Er missbraucht seine Machtposition vor allem dazu, alle anderen einzuschüchtern und gegeneinander auszuspielen. Warum aber spielen die anderen mit? Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch den Krimi. Und es ist wohl überhaupt die zentrale Frage im Zusammenhang mit systematischem Machtmissbrauch.

«Der Geniemythos spielt eine grosse Rolle», sagt Kasperski. «So ein Mensch kann dir das Gefühl geben, dass du Teil seiner Vision bist und mit ihm nach oben schwimmst.» Zudem geistere am Theater die Idee herum, dass erst durch Leiden grosse Kunst entstehe. Ungeklärt bleibt, warum das Leiden gerade bei jenen nötig ist, die wenig Macht, wenig Gehalt und wenig Einfluss haben.
 

Das System fördert das Schweigen

Das Hauptproblem, sagt Kasperski, sei das Schweigen: «Solange man schweigt, ist viel möglich. Und das System fördert dieses Schweigen.»

Kasperski nutzt in ihrem Krimi das Schweigen als dramaturgisches Prinzip. Der Plot wird bestimmt von Fragen wie: Wer weiss wie viel? Wer sagt was? Wer schweigt warum? Und vor allem: Wann ist der richtige Zeitpunkt, das Schweigen zu brechen?


Spannung pur

Dabei setzt Kasperski auf typische Krimi-Mittel: Sie wechselt die Schauplätze und die Perspektiven, sie verknüpft mehrere Handlungsstränge, und treibt den Plot durch spannende Dialoge voran. Das ist Spannung pur – und wird gleichzeitig dem komplexen Thema gerecht.

Denn der Krimi macht deutlich, dass nicht nur das Theater ein Problem hat. Sexismus und Machtmissbrauch betreffen die ganze Gesellschaft. Auch der sympathische Polizist Werner Meier muss sich im Laufe seiner Ermittlungen fragen, ob er seine Privilegien zu Hause ausnutzt. Und ob das wirklich fair ist.


Gabriela Kasperski: Nachtblau der See. Emons 2019.