21. Februar 2019

SRF onlineJournalismus

Wer bestimmt über den weiblichen Körper? Dieser Frage geht Shootingstar Carmen Maria Machado in ihrem gefeierten Debüt «Ihr Körper und andere Teilhaber» nach.

Hätte Carmen Maria Machado ihre Sammlung von Kurzgeschichten vor fünf Jahren veröffentlicht, so wäre ihr die Anerkennung sicher gewesen. Die Anerkennung von feministischen Intellektuellen, von lesbischen Literaturkennerinnen und wahrscheinlich auch die Anerkennung von ein paar Genre-Fans, die es mögen, wenn man ihr Lieblingsgenre humorvoll strapaziert.


Shootingstar sondergleichen

Doch das Debüt der US-amerikanischen Schriftstellerin erschien Ende 2017, und es katapultierte die junge Autorin in die Mitte des etablierten Literaturbetriebs. «Ihr Körper und andere Teilhaber» wurde von der Kritik bejubelt, für 39 Preise nominiert – darunter auch den renommierten National Book Award – und mit zehn Preisen ausgezeichnet.
Die Zeit ist offenbar reif, nicht nur für feministische Literatur, sondern auch für queere. Für Literatur also, die das Verhältnis der Geschlechter aus einer weniger bekannten Perspektive beleuchtet. Das Grossartige ist, mit welcher Selbstverständlichkeit Carmen Maria Machado diese Perspektive einnimmt. Sie ist – das ist kein Geheimnis – Feministin, lesbisch und mit einer Frau verheiratet.
 

Furchtlose Schreiberin

Diese Positionierung der Autorin ist wichtig. Denn sie bestimmt den Blick, die Sprache, die Themen. Aber sie ist kein Problem, im Gegenteil. Machado macht ihre unkonventionelle Autorinnen-Position zu einer sprudelnden Quelle für originelle Geschichten. Geschichten, die man kennt, die aber noch nie auf diese Weise erzählt wurden.

Zum Beispiel die Geschichte einer Frau, die ein Stipendium in einer abgelegenen Künstlerkolonie mit dem vielsagenden Namen «Teufelsschlund» bekommt. Dort wird sie mit ihren abgründigen Fantasien konfrontiert.

Oder die Geschichte einer nicht allzu fernen Zukunft, in der Frauen auf mysteriöse Weise verschwinden: Sie werden immer durchsichtiger und lösen sich scheinbar in Luft auf.
Erzählt mit rabenschwarzem Humor ist auch die Geschichte einer übergewichtigen Frau, die sich den Magen operativ verkleinern lässt. Sie wird später von ihrem verlorenen Körperfett, ihrem verworfenen Körper, im eigenen Keller heimgesucht.
 

Strapazierte Genres

Thriller, Horror und Science-Fiction, aber auch Porno, Märchen und magischer Realismus: Machado spielt souverän mit populären Genres und literarischen Stil-Elementen.

Mit wenigen Sätzen beschwört sie ikonische Szenen von Alfred Hitchcock und Stephen King herauf, nur um die Geschichten dann ganz anders weiterzuerzählen.
 

Feminismus in fiktiver Umwelt

Ihr gehe es darum, das Leben von Frauen zu ergründen, sagt Machado. Wer ihre Geschichten liest, weiss sofort, was sie meint: Sie spürt jene kollektiven Phantasmen auf, die aus der Frau das ewige Opfer machen.

Ihr lässiges Spiel mit den Genres ist eine Abrechnung mit sexistischen Erzählkonventionen, aber auch eine lustvolle Aneignung, durch die sie misogyne Vorlagen scheinbar mühelos in feministische Erkundungen verwandelt. Wer sich dieses Buch nicht gönnt, ist selbst schuld.
 

Carmen Maria Machado: Ihr Körper und andere Teilhaber. Tropen 2019.