Die Schwangeren
Schwangere sind Figuren zwischen den zwei Ereignissen Zeugung und Geburt. Sie stehen am Anfang, jeder Mensch entsteht aus einer Beziehung, die man Schwangerschaft nennt. Doch Schwangere finden keinen Platz in der symbolischen Ordnung, weil sie die Unterscheidungen, an denen sich unser Denken orientiert, in Frage stellen: Eins und zwei, Natur und Kultur. Als Schwangere erlebe ich die Irritation am und im eigenen Körper. Auch mir wird der übliche Umgang damit nahegelegt. Doch ist nicht gerade diese Lage jenseits der etablierten Ordnung eine, aus der sich vieles überblicken lässt?
Ich bin schwanger. Meine Figur ändert sich rasant und drastisch, denn ich bin nun ein Körper aus zwei biologisch verbundenen Wesen, die beide nicht nur wachsen, sondern sich substantiell verändern. Es entstehen: eine Plazenta, eine Nabelschnur, ein Embryo, sehr viel Blut, Fruchtwasser … es entsteht eine Beziehung zu etwas, das ich bin und nicht bin.
Wer bin ich, wenn ich schwanger bin? Ein Prozess zwischen Zeugung und Geburt. Ein biologischer Normalfall. Eine intellektuelle Herausforderung. Eine ganz gewöhnliche Grenzerfahrung, die unsere symbolische Ordnung strapaziert.
Universaler Transit
Wahrscheinlich denkt Ihr, dass ich eine Frau bin. Das stimmt. Aufgrund meiner primären Geschlechtsmerkmale hat man mich kurz nach der Geburt als weiblich definiert. Ich bekam einen weiblichen Vornamen, wurde als Mädchen erzogen und werde bis heute als Frau angesprochen. Oft auch nicht angesprochen.
Damit gehöre ich zu den ganz normalen Schwangeren. Normal im Sinn von üblich, gewöhnlich. Mehr als 97% aller Neugeborenen, die bei der Geburt als weiblich kategorisiert werden, haben eine Gebärmutter und können im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal schwanger werden. Und ungefähr gleich viele Babys, die bei der Geburt als männlich kategorisiert werden, haben keine Gebärmutter und können nicht schwanger werden. Noch nicht.
Allerdings dürft Ihr daraus nicht schliessen, dass es keine schwangeren Männer gibt. Das wäre falsch. Die gibt es. Aber sie sind so selten, dass man sie namentlich kennt und ihre Geschichten in den Medien und in der Fachliteratur herumreicht. Thomas Beatie aus den USA, zum Beispiel. Oder Oscar Miller aus Deutschland. Männer mit eigener Gebärmutter, das kommt gelegentlich vor. (Könnt Ihr googlen.)
Die meisten Schwangeren sind Frauen, deren Namen man nicht kennt. So wie ich. Allerdings dürft ihr daraus nicht schliessen, dass Schwangerschaft ein Frauenthema ist. Bis heute ist jedes menschliche Wesen in/aus einer Schwangeren (selten auch einem Schwangeren) entstanden. Jeder Mensch war zuerst ein Zellhaufen, später ein Embryo, ein Fötus, und während dieser Entwicklung untrennbar mit dem Körper der Schwangeren (des Schwangeren) verbunden.
Wenn wir fragen: Woher kommen wir? Dann gibt es genau diese eine sinnvolle Antwort: Wir alle kommen aus einer Beziehung, aus der biologische Verschränkung zweier Wesen in einem einzigen Körper. Wir alle kommen aus einer (einem) Schwangeren.
Diskursive Leerstelle
Ich bin schwanger. In den ersten Wochen war es vor allem mein eigener Körper, der sich verwandelte. Doch seit einiger Zeit nehme ich es wahr. Es ist nicht besonders freundlich, ist unruhig, wenn ich schlafen will, tritt mich in die Organe und regt sich gerade dann wieder überhaupt nicht, wenn meine Nichte ihre kleine Hand auf meinen Bauch legt. Trotzdem freue ich mich über die Gesellschaft. Wir sind jetzt zwei und doch nicht zwei. Wer bin ich, wenn ich schwanger bin? Ist es überhaupt sinnvoll, von einem “ich” zu sprechen? Wäre nicht ein “wir” angemessener? Wir sind hier. Wir sind im Bett. Wir machen Gymnastik und werden sehr durstig. Aber dann wieder: Ich bin müde, ich möchte schlafen, es hingegen ist aktiv, schlägt Purzelbäume und lässt mich nicht einschlafen.
Ich suche nach Orientierung bei den Philosophen. Ein Kanon aus mehr als zweitausend Jahren steht mir zur Verfügung. Mehr als zweitausend Jahre, in denen die Philosophen darüber nachgedacht haben, was der Mensch ist und woher er kommt. Doch wenn es um Schwangere geht, stellen sie sich dumm. So dumm wie Hans-Christian Andersen in seinem Märchen “Däumelinchen.” Schon als Kind habe ich mich über die ersten Zeilen gewundert: “Es war einmal eine Frau, die sich sehr nach einem kleinen Kinde sehnte. Aber sie wusste nicht, woher sie es nehmen sollte.”
Als wäre die Herkunft des Individuums aus einem gemeinsamen Körper ein peinliches Malheur, ein Missgeschick, über das man besser schweigt.
Infrastruktur
Die Medizin kann die Schwangerschaft hingegen nicht ignorieren. Seit ich schwanger bin, pflege ich eine intensive Beziehung zu meiner Gynäkologin. Ständig werde ich untersucht, und alle paar Wochen schauen wir gemeinsam, was in meinem Bauch passiert. Was wir dabei sehen, ist allgemein bekannt. Ultraschallbilder von Föten gehören mittlerweile in jedes Familienalbum. “Schau, das bist Du”, sagen die Eltern später zu ihren Kindern und zeigen auf den unförmigen Zellhaufen vor schwarzem Hintergrund. “Schauen Sie, hier ist ihr Baby”, sagt der Arzt zu den werdenden Eltern. Beide starren auf einen Bildschirm, auf dem sich im wirren Schneegestöber Umrisse eines amphibienartigen Wesens abzeichnen. Ein Baby?
Die Medizin kann die biologische Tatsache einer Schwangerschaft zwar nicht ignorieren. Doch sie kann die Schwangeren ignorieren, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf den Fötus lenkt. Das pränatale Wesen, das nur in der engen Geborgenheit und als Teil des mütterlichen Körpers überhaupt existieren kann, wird im Ultraschallbild zum einsamen Helden im Weltraum. Durch die Nabelschnur lose verbunden mit der Basis, treibt es in vor-weltlichen Sphären und wartet darauf, dass sein Abenteuer beginnt.
Dabei hat das Abenteuer längst begonnen. Es findet nicht im Weltraum oder auf dem Meeresgrund, sondern in meinem Körper statt. Doch das Ultraschallbild bringt diesen Körper zum verschwinden. Was biologisch nicht getrennt werden kann, wird nun scheinbar doch getrennt: Das pränatale “Baby” erscheint als eigenständiges Wesen. Ich bin das Gehäuse, nichts als eine funktionierende Infrastruktur. Eine Zwischenstation für das Kind der Zukunft. Und das hat Konsequenzen.
Risiko
Ich bin schwanger und stelle fest: Die medizinische Sorge und Fürsorge, die ich jetzt erlebe und zu der ich praktisch gezwungen werde, dreht sich nicht um mein eigenes Wohl, sondern einzig um das Wohl des Fötus. Optimale Startbedingungen soll das zukünftige Menschlein bekommen, und meine Mitarbeit ist dabei Pflicht. Ich werde aufgefordert, viel fetten Fisch zu essen (Omega-3 Fettsäure macht intelligente Kinder), aber möglichst wenig Thunfisch (das BAG empfiehlt nicht mehr als vier Dosen pro Woche, wegen der Quecksilberbelastung. Wollte ich das wissen?) Die Listen mit den Verboten und Geboten ist lang, widersprüchlich und in meiner Realität nicht praktizierbar.
Die Hauptaufgabe aber lautet: Sei entspannt und höre auf deinen Körper! Doch mein Körper sagt mir nur, dass es der reine Wahnsinn ist. Unerträgliche Übelkeit, Sodbrennen, Rückenschmerzen und eine bleierne Müdigkeit bestimmen mein Leben. Dabei verläuft meine Schwangerschaft bis jetzt absolut unproblematisch, sagt meine Ärztin.
Echte Probleme wären: Diabetes (bei ca. 14% der Schwangeren), Bluthochdruck, Präeklampsie (eine sehr gefährliche Komplikation, die zum Tod führen kann, und von der 1:2000 Schwangere betroffen sind), Wassereinlagerungen, Krampfadern, Blähungen … Jedes Jahr sterben auf der Welt 300’000 Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft. Zu den Langzeitfolgen wie chronischen Rückenschmerzen, Inkontinenz und so weiter gibt es kaum Studien. Es sind Kollateralschäden, die in Kauf genommen werden müssen.
Projektionsraum männlicher Hybris
Für literarische Phantasien sind Schwangere hingegen ein gefundenes Fressen. Sie beflügeln die Phantasie männlicher Autoren und patriarchaler Religionen. Maria geht schwanger durch den Dornenwald, da blühen die Rosen auf. Über die Beziehung zur Frucht ihres Leibes während ihrer Schwangerschaft erfahren wir allerdings wenig. Die Schwangere ist in erster Linie Brutstätte für den kommenden Heiland.
Seit Laurence Sternes “Tristram Shandy Gentleman” werden Schwangere auch als Ausgangsort einer besonders originellen Erzählerperspektive imaginiert. Kürzlich zum Beispiel in Ian McEwans Nutshell. Ich lese den Roman noch einmal. Vor drei Jahren fand ich ihn witzig. Ein pränataler Hamlet beobachtet seine intrigante Mutter und philosophiert über Sein oder nicht Sein. Ein gelungener Beitrag zum Shakespeare-Jahr 2016.
Doch jetzt bin ich enttäuscht. Dieses “Ich” okkupiert den Bauch der Schwangeren wie ein Alien. Das eigentlich besondere, die intellektuelle Herausforderung, die schwangere und pränatale Wesen so offensichtlich anbieten, wird von diesem Roman elegant ignoriert. Das Ungeborene ist nicht Teil des mütterlichen Körpers, sondern ein ganz und gar nicht originelles, männliches Subjekt, das tut, was männliche Subjekte in Romanen meistens tun: einerseits Frauen beobachten, “lieben” und verachten (meistens ist es, wie hier auch, nur eine Frau, die geliebt und verachtet wird, nämlich die eine, sprich hier: die Mutter), andererseits über sich selbst und über den eigenen Subjektstatus nachdenken.
Zum Beispiel denkt dieses pränatale “Ich” über die Grenzen seines freien Willens nach. Es möchte sich nämlich an der Nabelschnur strangulieren, seit es verstanden hat, dass es von der Mutter nicht erwünscht ist. Da es als männliches Subjekt bereits dem ödipalen Begehren verfallen ist und sich in unversöhnlicher Konkurrenz mit dem Sexualpartner der Mutter befindet, hält es ein Leben ohne seine Mutter für nicht lebenswert. (Anmerkung: Es imaginiert die Geburt als Analogie zum Sex, wobei es frohlockt, dass es die zentrale Öffnung der Mutter –“mein Panama” – unter dem hehren Begriff des “Geburtskanals” durchstossen darf, während sie für den Vater nur als schnöde “Vagina” verfügbar war.)
Todeszone
Doch zurück in den Bauch: Noch will das “Ich” ja gar nicht geboren werden, sondern plant den pränatalen Suizid. “Ich werde mich umbringen.” Allerdings gibt es diesen Plan gleich wieder auf, weil es erkennt, dass sein Wille zur Totgeburt nur so lange anhalten würde, wie es bei Bewusstsein wäre. Wäre es bewusstlos, würden die vegetativen Reflexe einsetzen und seinem selbstbestimmten Tod im Wege stehen: Leben will leben. “Das Hirn zu töten aber heisst natürlich, den Willen zu töten, der das Hirn töten will. Kaum schwinden mir die Sinne, erschlaffen meine Fäuste, und der Pulsschlag kehrt zurück. […] Ich falle zurück, verurteilt zum stupiden Hofgang der Existenz.”
Natürlich ist das eine Fiktion. Natürlich ist das ein Spiel mit einer unmöglichen Erzählerposition, ein ausgeklügelter Kommentar zu Hamlet, eine literarische Verrücktheit, eine Reflexion unserer wahnwitzigen Subjektfantasien. Doch es ist eine Fiktion, die sich an der männlichen Hybris ausrichtet, und die, ganz nebenher, die tatsächlichen Verhältnisse zwischen Schwangeren und Ungeborenem komplett verdreht. Ob aus einem Zellhaufen, aus einem Embryo, aus einem Fötus ein Kind wird oder nicht, hängt nämlich immer auch davon ab, ob die Schwangere das will.
Als Schwangere weiss ich: Wir sind zwei Wesen, die biologisch verbunden sind und sich nicht in zwei aufteilen lassen. Doch wir sind ein ungleiches Paar: Ich kann diese Beziehung jederzeit aufkündigen – unter welchen Umständen und zu welchem Preis hängt einzig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab, nicht von biologischen Gegebenheiten. Im Falle einer Auffälligkeit bei den Ultraschalluntersuchungen wird mir eine Abtreibung sogar nahegelegt.
Als Schwangere entscheide ich über Leben und Tod eines zukünftigen Menschen.
Und jetzt verstehe ich McEwans Fiktion als wütende Reaktion eines Autors/Erzählers, der es nicht erträgt, dass das Leben jedes Menschen, jedes Mannes davon abhängt, ob die (der) Schwangere “ja” sagt. Lieber möchte er sich seinem eigenen Todeswillen und dem Überlebensinstinkt seiner vegetativen Reflexe ausliefern, als der (freien) Entscheidung einer Frau (oder seltener: eines Mannes mit Gebärmutter).
Monster
Ich bin schwanger und lese jetzt anders. Auch in Jeffrey Eugenides’ Roman Middlesex stosse ich auf eine Stelle, die ich früher grosszügig überlesen hätte, die mich jetzt jedoch kränkt und an der Intelligenz des Autors zweifeln lässt. Besonders fasziniert scheint der Autor von der körperlichen Verwandlung, die Desdemona, die Grossmutter der Hauptfigur, während ihrer Schwangerschaft erlebt. Von den frühen Anzeichen in den ersten Wochen (“Her breasts inflate. Her nipples darken”), über die auffällige Verwandlung im zweiten Trimester (“At twenty weeks, a mysterious line starts drawing itself down from her navel. Her belly rises like Jiffy Pop”) bis zur völligen Entstellung in der letzten Phase (“At thirty-six weeks she cocoons herself in bedsheets. The sheets go up and down, revealing her face, exhausted, euphoric, resigned, impatient”) verwandelt sich die junge Frau kontinuierlich vom Menschen in ein tierartiges Wesen:
“The entire process was a holdover from more primitive stages of development. It liked her with the lower forms of life. She thought of queen bees spewing eggs. She thought of the collie next door, digging its hole in the backyard last spring.”
Animal sapiens
Der fruchtbare Körper, schreibt Julia Kristeva, erinnere daran, wie prekär die Grenze zwischen Kultur und Natur, zwischen Mensch und Tier sei. Schwangere bewegen sich auf dieser Grenze und zeigen deshalb auf, wo sie gezogen wird: Zwischen Körper und Geist, zwischen Frau und Mann, zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Instinkt und Ratio.
Für die Schwangeren selbst ergibt diese Trennung keinen Sinn. Ihre wachsenden Körper machen die Entstehung jedes Menschen als biologische, physische, “natürliche” Tatsache offensichtlich. Deshalb werden Schwangere als Bedrohung empfunden. Sie bedrohen eine Ordnung, die diese Grenze selbst als natürlich, gegeben, logisch, selbstverständlich und unverrückbar verstanden wissen will, und die darauf bedacht ist, zu verschleiern, wie willkürlich, absurd, fragil und ungerecht diese Grenzziehung ist.
Deshalb werden Schwangere entweder unsichtbar gemacht, oder auf die Seite der Natur gedrängt, wenn es sein muss, mit Gewalt. Ein Akt der Klärung, der Säuberung, der Entmischung. Wie das gehen kann, das führen Ratgeber und Mamablogs vor: Die ständige Ermahnung, auf seine Gefühle und seinen Körper zu hören, ist eine perfide Anleitungen zur Selbst-Entmenschung. Werde zum Muttertier, damit deine menschliche Stimme verstummt! Ergebe dich in dein hormongesteuertes Schicksal, fern jeder rationalen Urteilskraft.
Eva in Ewigkeit
Auch Eugenides verdrängt die schwangere Desdemona mit allen Mitteln der Kunst aus dem Bereich der Kultur und nimmt ihr jede Möglichkeit der individuellen Erfahrung. Schwangere, so erzählt er, sind alle gleich. Desdemona ist auf fundamentale Weise mit allen Frauen verbunden, in der ewigen Wiederholung einer biologischen Notwendigkeit: “Without leaving her bed, she wandered the dark corridors of pregnancy, stumbling over the bones of women who had passed this way before her. For starters, her mother, Euphrosyne (whom she was suddenly beginning to resemble), her grandmothers, her great-aunts, and all the women before them stretching back into prehistory right back to Eve, on whose womb the curse had been laid. Desdemona came into a physical knowledge of these women, shared their pains and sighs, their fear and protectiveness, their outrage, their expectations.”
Mythische Falle
So einfach, wie sich Eugenides das vorstellt, ist es nicht. Zwar erinnern die Schwangeren an ein Kontinuum, an eine biologisch bedingte Gemeinsamkeit mit der gesamten Spezies. Doch warum sollte der einzelne Mensch im Prozess der Schwangerschaft seine kulturelle Prägung verlieren? Als Schwangere befinde ich mich nicht im Naturzustand, sondern in einer enormen Spannung zwischen einer biologischer Tatsache und einer kultureller Realität, die mit dieser Tatsache nicht umgehen kann.
Während Eugenides an der Beschreibung dieser Spannung komplett scheitert, findet Rachel Cusk dafür die treffenden Worte: “Das biologische Schicksal der Frau steht unverändert inmitten der Ruinen ihrer Ungleichheit”, schreibt sie in A Life’s Work. Und weiter: “Die Frauen haben sich verändert, die biologischen Gegebenheiten sind dieselben geblieben. So bietet uns die Mutterschaft ein einzigartiges Fenster auf die Geschichte unseres Geschlechts, wenn auch eines mit leicht zerbrechlichem Glas. Ich staune darüber, dass jedes einzelne Mitglied unserer Spezies auf einem so beschwerlichen Weg geboren und in die Unabhängigkeit entlassen wurde, und ich habe versucht, dieses dem Leben der Frau abgerungene Werk zu beschreiben.”
Gefüllte Piñata
Ich bin schwanger, doch bald ist es vorbei. Vierzig Wochen oder neun Monate dauert eine Schwangerschaft. Das ist im Vergleich zu meinem bisherigen Leben recht kurz. Allerdings hat die Tatsache, dass ich schwanger werden könnte, schon immer eine Rolle gespielt.
Wieder finde ich bei Rachel Cusk jene Worte und Bilder, die meine eigene Erfahrung besser beschreiben, als ich es je könnte: “Als Kind habe ich mir von dem Augenblick an Sorgen gemacht, als ich Genaueres über den Geburtsvorgang und seine näheren Umstände erfuhr. Nach meiner Lesart gab es keine Fussnoten, und keine zusätzliche Klausel garantierte, dass nicht alle Frauen ein Kind bekommen müssen, geschweige denn können. Wie alle Tatsachen des Lebens erschien auch diese Frage unverhandelbar. Ich betrachtete meinen schmalen, kurvenlosen Körper und stellte mir vor, dass eines Tages ein zweiter Körper aus ihm herauskommen würde, wobei mir nicht ganz klar war, wie oder woher eigentlich. Soweit ich wusste, würde ich zu keinem späteren Zeitpunkt mit einer entsprechenden Vorrichtung ausgestattet werden. Mein Körper trug das Versprechen der Traumatisierung jetzt schon in sich, ähnlich einer mit Süssigkeit gefüllten Piñata.”
Meine eigene Schwangerschaftszeit ist seit ein paar Tagen offiziell abgelaufen. Ich warte, ungeduldig aber ohne Angst. Und eines Morgens, um vier Uhr, bekomme ich ein Zeichen: Es geht los. Guter Dinge mache ich mich auf den Weg ins Spital, wo ich mich der Gewalt, dem Schmerz, der Traumatisierung ausliefere.
Mit etwas Glück werde ich es überleben, denke ich.
Mit etwas Glück werden wir zu zweit nach Hause kommen.